Lehnerer – Grand Urban Rules

Kurzfassung

Die Forschung von Alexander Lehnerer von 2009 untersucht die Anwendung regelbasierter Instrumente im Bereich des Städtebaus, um die gebaute Umwelt in sinnvoller Art und Weise zu kontrollieren und steuern. Die zentrale Herausforderung besteht im Vermitteln zweier gegensätzlicher Ziele: Zum einen der Schutz von privaten Freiheiten, Wahlmöglichkeiten und Selbsterfüllung; zum anderen der Schutz eines wie auch immer gearteten öffentlichen Interesses hinsichtlich der Form unserer gebauten Umwelt. In diesem Zusammenhang ist Städtebau sowohl das Ziel als auch der Prozess, d.h. die Disziplin besteht sowohl aus organisatorischen und funktionalen Zielen als auch einer Reihe von subjektiven Entwurfsentscheidungen. Die entscheidende Frage ist demzufolge: Wie findet sich eine Form von Organisation, oder wie kann der Entwurfsprozess organisiert werden, um strategische Flexibilität und Offenheit zu schaffen, ohne visionäre und urbane Qualitäten zu verlieren?

Um diese Frage klären zu können, ist es sinnvoll den Blick auf Stadtverwaltungen zu richten und zu untersuchen, wie diese versuchen, zwischen öffentlichen und privaten Interessen zu vermittlen. Deren Baugesetze sind ein deutliches Beispiel, wie private Interessen hinsichtlich der baulichen Entwicklung unserer Städte durch die öffentliche Hand gesteuert werden, stets mit dem Versuch den privaten Entwicklungsspielraum so gross wie möglich zu lassen. Hierin besteht der bedeutenste Unterschied zwischen Regeln und Plänen. Mit Regeln lässt sich der Grad an städtebaulicher Kontrolle und Determination besser justieren. Die Hypothese dieser Arbeit lautet, dass gerade dieses operationelle Potential sehr wichtig für das städtebauliche Entwerfen ist, egal ob es sich auf der Ebene der Stadtverwaltung oder dem projektbasierten Entwerfen abspielt.

Die Grundlage für die vorliegende Arbeit bilden 115 verschiedene Regeln, welche sich aus der Betrachtung von 20 Städten weltweit ableiten. Die Auswahl der jeweiligen Regeln hat verschiedene Gründe: Zum einen soll der gesamte Satz an Regeln ein möglichst grosses Spektrum an urbanen Masstäben abdecken – von einem regionalen Masstab bis hin zum Gebäudedetail. Zweitens handelt es sich um Regeln, welche – vom einem städtebaulichen Entwurfsstandpunkt aus betrachtet – einen grossen Einfluss auf die Form und Aussehen unserer Städte haben. Dass heisst, es handelt sich um Regeln, welche die physische Stadt mit der sozialen verbinden und dabei Qualität mit Quantitäten und latente mit offensichtlichen Charakteristika verbinden. Schliesslich dienen diese Regeln als Beispiele und Fallstudien für die Diskussion und Argumentation innerhalb der Struktur der zehn Kapitel dieser Arbeit.

Auf der Basis solcher Prezedenzfälle werden die Kombination, Kollision und Kollaboration der jeweiligen Regeln innerhalb ihres real existierenden, urbanen Kontext diskutiert. Das einleitende Kapitel The City of Averuni and Its Code liefert die illustrierte Gesamtschau aller 115 Regeln. Sie sind sortiert und kategorisiert nach Masstab, Leistung, ursprünglicher Motivation und Herkunft (siehe S.12).

Das erste Kapitel versucht grundlegend die Methode des regelbasierten Entwerfens zu erläutern und den Bogen zur Disziplin Architektur und Städtebau zu schlagen.

Im zweiten Kapitel geht es speziell um die Beziehung von öffentlichen und privaten Interessen, welche letzendlich dafür verantwortlich ist, warum Stadtverwaltungen allgemeingültige Regeln aufstellen. Was genau ist ein öffentliches oder privates Interesse, wie bildet sich ein öffentliches Interesse und wie kanalisiert sich dieses in eine städtebauliche Regel.

Das dritte Kapitel behandelt die Macht und den Einfluss von Regeln und wie diese in der Lage sind, eine scharfe Abgrenzung zwischen „erlaubt“ und „verboten“ zu ziehen. Die wichtige Erkenntnis wird hier diskutiert, dass das Potential von Regeln eher im Lassen von Freiheiten besteht, als im Festlegen von Grenzen.

Das vierte Kapitel behandelt, wie Regeln aesthetische Belange be– und vorschreiben. Man könnte sagen, dass an dieser Stelle der „Design“–Charakter von Regeln zum ersten Mal explizit wird.

Das Verhältnis von „Freiheit innerhalb von Bindung“ wird im fünften Kapitel thematisiert. Auch geht es um exzessive Verhandlungssituationen, hervorgerufen durch extreme Nähe. Daraufhin werden offizielle und informelle Regeln gegenübergestellt und ihre wechselseitige Einflussnahme besprochen. In Kapitel 7 werden die Adressenten von Regeln diskutiert und wo diese zum Einsatz kommen. Die „Externalitäten“ dieser Regeln sind ein wichtiger Teil der Diskussion.

Die Fallstudien im achten Kapitel demonstrieren, wie urbane Elemente durch regelbasierte Konsistenz geformt werden und gleichzeitig fähig sind, eine Differenz zu ihrem Kontext zu bilden.

Die letzten beiden Kapitel versuchen das Potential von Regeln als Entwurfswerkzeug abschliessend zu unterstreichen. Schliesslich kann dies nur evaluiert werden, wenn man zeigt, wie Regeln innerhalb eines tatsächlichen Entwurfes funktionieren. Den Kontext für diese Diskussion liefern eine Reihe von städtebaulichen Entwürfen, an denen ich in den letzten Jahren gearbeitet habe.

Das grundsätzliche Ziel dieser Studie liegt im Versuch, Regeln für den praktischen Einsatz innerhalb des städtebaulichen Entwerfens brauchbar zu machen. Dies liegt einer sehr wertvollen Entwurfhaltung zugrunde – weg von dem Versuch alles kontrollieren zu wollen, hin zu einer nicht–fatalistischen Form von Kontrolle zwischen Freiheit und Zwang.

Download full text as PDF File